02.11.2011

Eigentlich über den Herbst

Die It-Boys and Girls des heutigen Singer/Songwriter/Tums zu verehren ist sicherlich nicht verkehrt. Es gibt sehr gute. Aber es geht nicht ohne die alten. Die Vorbilder unserer verwegenen abgemagerten Gitarrenhipster sozusagen. Ich möchte behaupten, sich der Melancholie mit einem Glas Rotwein hinzugeben und dabei The Tallest Man on Earth zu hören, ist sicherlich pas de problème, ich mache das auch sehr gerne, ab und zu auch ohne Rotwein (soll ja auch funktionieren munkelt man). Aber sich der Melancholie mit einem Glas Rotwein hinzugeben und dabei Fleetwood Mac, JJ Cale, Simon & Garfunkel, Van Morrison, Leonard Cohen oder Tom Waits zu hören, bringt das ganze doch nochmal auf eine andere Ebene (ich verzichte hier bewusst auf das Wort bessere, denn Geschmack ist freilich streitbar). Das sind Leute, die haben sich ihre Stimme rauchig geraucht und gesoffen, die haben das Leben mit dem ganz großen Löffel geschöpft, einer Schöpfkelle sozusagen und wenn die mir was von Liebe vorsingen, glaube ich dem Mehr an Lebenserfahrung eher als dem guten Aussehen eines jungen, arroganten Schwedenhübschi (der er nun mal ist und beim Konzert im Uebel und Gefährlich Anfang des Jahres bewiesen hat).

A Propos Tom Waits. Darauf wollte ich ja eigentlich hinaus. Lange Zeit dümpelten die Alben des Musikers so auf meinem iPod rum. Doch wie ich letztes Wochenende auf den wirklich großartigen Dead Man Walking Soundtrack stieß, sang er sich mir wieder ins Gedächtnis. Und so kramte ich heute mal ein bisschen in meiner Musiksammlung. Tom Waits ist einer, dessen Stimme dermaßen tief und gurgelnd ist, dass man sich selbst unwillkürlich räuspern muss. Sein wohl bekanntestes Lied ist nicht etwa Waltzing Matilda, sondern der Tom Traubert's Blues. Ich mag dieses Lied sehr gerne, so wie ich alle Lieder mag, wo Matilda drin vorkommt (siehe auch Harry Belafonte - Matilda), weil es so ein hübscher Name ist (für eine Tochter, die ich mal in x Jahren bekomme, beispielsweise). Naja, zurück zum Thema: Dass es sich bei beiden Liedern um ein und dasselbe handelt, hat mich einiges an Recherche gekostet. Die fast Nationalhymne Australiens nutzte Waits, schrieb sie um und verwandelte sie in eben diesen Tom Traubert's Blues.


Zu finden ist dieses Lied unter anderem auf dem Album Asylum Years. Und das bringt mich zu dem Thema, worüber ich eigentlich eigentlich schreiben wollte. A Propos Asylum Years. Als ich mich dem Album heute morgen wieder genüsslich widmete, kam mir das Album Cover seltsam bekannt vor. 

























Ich dachte nach. Und dann fiel es mir ein und plötzlich überkam mich ein Gefühl von Heimweh, home is where the heart is und all das, und in mir zog sich alles zusammen. Das rechte Bild habe ich letztes Jahr aufgenommen. Ich wählte das Motiv, weil es so einen bemerkenswerten Gegenpol zu den hektisch belebten Straßen der Stadt bildete mit seiner ganzen Einsamkeit und Tristesse. Allegorisch stehend für geplatzte Träume, ja irgendwie auch für die Stadt. Und es war wunderschön, wie es da verlassen stand und ich stellte mir vor, dass es sicher mal ein bekannter Diner gewesen ist. Ich schoss es ohne an Tom Waits zu denken. Ich schoss es ohne zu wissen, dass ich wirklich vor einem echten Stück New Yorker Geschichte stand.

















Damals, vor einem Jahr, war ich glücklich, in den Straßen allein umherwandern zu können, denn das Alleinsein hat mir zu dem Zeitpunkt noch nicht so viel ausgemacht. Und plötzlich, beim direkten Vergleich der Bilder, strahlende Glanzzeiten gegen meine ernüchternde Bestandsaufnahme, wurde ich plötzlich wieder traurig.


Und ich dachte, wie erstaunlich es doch ist, dass Bilder manchmal die Macht haben, sinnbildhaft den Seelenzustand abzubilden. Das schafft nur Kunst. Wie erstaunlich es doch ist, dass dieses Album Asylum Years heißt, während ich fern der Heimat umherstreifte und jenes Cover Jahre später nochmal aufnahm und plötzlich ergab alles einen Sinn. Tja und dann lief auch noch dieser blöde Tom Traubert's Blues und der schafft bekanntlich auch keine Abhilfe in Sachen Melancholie und plötzlich ist es draußen schon dunkel, obwohl erst 16 Uhr und plötzlich ist schon November, das Jahr 2011 fast vorbei, es war ein beschissenes Jahr, dieses Jahr, und so kam der Moment, an dem Tom Waits wieder für unbestimmte Zeit in der Musiksammlung verschwand. Besser ists. (Nur für ein Lied kommt er nochmal heraus, weil wenn ich schon auf der Woge des Heimwehgefühls umherschwappe, dann geb ich es mir nochmal so richtig mit Jersey Girl). 



2 Kommentare:

Pablo hat gesagt…

"Wieder traurig" und "beschissenes Jahr" klingt ja gar nicht gut. :(
Aber ud solltest bitte unbedingt öfters über Musik schreiben! Das machst du nämlich ganz hervorragend und mit viel Gefühl, das ist total toll!

Battges hat gesagt…

Brilliant!
Ich habe es leider versäumt deinen Blog regelmäßig zu verfolgen, jedoch finde ich immer wieder Beiträge, die mich mitreißen und in eine andere Welt befördern.
Das ist jetzt kein "philosophisches scheiß gelaber", sondern die Freude deine Texte zu lesen und zu erfahren, was bei einer guten, alten Freundin so los ist. Ein eleganterer Weg als Facebook Profile zu durchforsten um festzustellen, dass dein guter, alter Freund sich gerade eine Pizza in den Ofen geschoben hat und in drei Stunden im Fitnessstudio sein muss! U know what i mean.

Danke dafür.

Mit den besten Grüßen,
Herr Böttge

Twittern